Dienstag, 22. Oktober 2013

Der Fall Florian H.

„Bad Cannstatt: Aus bislang ungeklärter Ursache ist am Montagmorgen (16.09.2013) gegen 09.00 Uhr an der Mercedesstraße ein Peugeot in Brand geraten.“ – So beginnt die Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Stuttgart. Ein Zeuge habe Rauchentwicklung bemerkt und das brennende Auto entdeckt. Der Insasse des Wagens sei verbrannt.
In den folgenden Wochen sorgte der Fall des 21jährigen Florian H. aus Eppingen (Landkreis Heilbronn) für Wirbel, aber nicht für die wirklich großen Schlagzeilen. Dabei ist der Sachverhalt äußerst interessant: Ein Aussteigewilliger aus der rechten Szene wird als Zeuge vernommen, zum NSU und seinem Bezug zu Baden-Württemberg. Dabei erwähnt er auch eine bisher unbekannte Gruppierung, die NSS („Neoschutzstaffel Öhringen“). Und genau an dem Tag, an dem er zum zweiten Mal an einem geheimen Ort in Stuttgart vor den Ermittlern des Landeskriminalamtes aussagen soll, verbrennt er in seinem Auto, in der Nähe des Canstatter Wasens, um 9.00 Uhr morgens. Angeblich auf der Zufahrt desselben Campingplatzes, auf dem sich schon die drei NSU-Terroristen aufgehalten haben sollen. Die Polizei stellt Suizid als Todesursache fest, der Fall wandert zu den Akten.

© 7aktuell
Vielleicht war es ein Selbstmord. Vielleicht hielt Florian H. dem Druck nicht mehr Stand. Und doch, es bleiben einige Merkwürdigkeiten bestehen. Der junge Mann hinterließ keinen Abschiedsbrief, obwohl das Motiv laut dem Stuttgarter Polizeisprecher Thomas Ulmer „im Bereich einer persönlichen Beziehung liegen“ würden. Zumindest ungewöhnlich. Die Mutter des Toten sagt: „Florian war ein sehr lebenslustiger und kritischer Mensch. Er hatte so viele Träume, Wünsche und Ziele. Wer ihn gekannt hat, geht nicht von einem Suizid aus.“ Er hatte außerdem noch einige Termine. Am Tag seines Todes hätte H. eine neue Stelle als Lehrling bei einer Baufirma antreten sollen – und er hatte um 17.00 Uhr einen Termin mit der Polizei.
Schon vor Bekanntwerden der NSU-Morde sprach H. angeblich von einem rechtsextremistischen Hintergrund des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Man hielt ihn für einen Wichtigtuer, bis die Terrorgruppe aufflog. Später erwähnte H. die NSS Öhringen und bezeichnete sie nach dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ als zweitradikalste Gruppe in Deutschland. Es habe sogar ein Treffen zwischen den beiden Gruppierungen gegeben, behauptet er. Auch jetzt hielt man ihn für größenwahnsinnig, weil er sich bei den Aussagen in Widersprüche verstrickte. Er hatte behauptet, den Polizistenmörder zu kennen, konnte bei der Vernehmung jedoch keine Namen nennen.
Dann drängt das LKA nach Monaten plötzlich auf ein erneutes Treffen. Zwischen dem ersten Termin im Januar 2012 und der zweiten, nicht mehr stattgefundenen Befragung lagen mehr als eineinhalb Jahre. Egal, was Florian H. aussagen sollte, er kam nicht mehr dazu. Entweder hat er es selbst verhindert – und dann stellt sich die Frage nach dem Warum – oder er ist verhindert worden. Dabei trennten den Ort, an dem er angeschnallt, in aufrechter Sitzposition und 50 Kilometer von seinem Heimatort entfernt starb, nur 700 Meter vom Landeskriminalamt. Die Stuttgarter Polizei bestreitet zudem nicht, dass es am Ort des Suizids eine Explosion gegeben habe. Allerdings seien auch Spuren von Brandbeschleunigern gefunden worden. Wollte H. den beiden NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos nacheifern, die ebenfalls vor ihrem Tod das eigene Auto in Brand setzten? Man weiß es nicht. Man könnte aber durchaus in dieser Richtung weiter ermitteln. Doch die Polizei ermittelt nicht weiter.

Sind die zahlreichen Ungereimtheiten nur Zufall? Vielleicht. Doch wie oft haben sich – gerade im Zusammenhang mit dem NSU – viele gemutmaßten Zufälle als fatale Irrtümer und Fehleinschätzungen erwiesen? Es bleiben auf jeden Fall noch eine Menge Fragen offen. Vielleicht würde es sich lohnen, in Baden-Württemberg einen eigenen NSU-Untersuchungsausschuss einzurichten, um Licht hinter all die Zusammenhänge zu bringen.

Ein Informant beschrieb H. dem Schwäbischen Tagblatt zufolge als labil. Und trotzdem meint er: „Mein erstes Gefühl sagte mir, jetzt haben sie ihn doch noch gekriegt.“

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